Jeden Tag treffen Ärztinnen und Ärzte in Österreichs Notaufnahmen und Intensivstationen Entscheidungen unter Bedingungen, die fern jeder Idealvorstellung sind. Wenn mehrere Notfälle gleichzeitig eintreten, wenn hochspezialisierte Teams bereits im Einsatz sind, wenn Transportwege lang und Patientenzustände instabil sind – dann gibt es nicht immer eine gute Lösung. Manchmal gibt es nur die am wenigsten schlechte. Diese Wahrheit auszusprechen bedeutet nicht, zu kapitulieren. Es bedeutet, ehrlich zu sein.
Die Kolleginnen und Kollegen, die in solchen Momenten Entscheidungen treffen müssen, handeln nach bestem medizinischem Wissen und Gewissen. Sie wägen ab, kommunizieren, suchen nach Alternativen. Und sie wissen: Was immer sie entscheiden, sie werden damit leben müssen.
Diese Verantwortung trägt man nicht leicht, und man trägt sie nicht nur im Dienst. Sie begleitet einen nach Hause, in schlaflose Nächte, in Zweifel, die nie ganz verstummen. Das gehört zu diesem Beruf – aber es darf nicht bedeuten, dass Einzelne am Ende allein gelassen werden mit Entscheidungen, die unter systemischen Rahmenbedingungen getroffen werden mussten.
Wir brauchen einen realistischen Umgang mit Notfallsituationen. Hochspezialisierte Eingriffe – wie etwa herzchirurgische Notoperationen – erfordern Teams, Infrastruktur und Vorlaufzeiten, die nicht unbegrenzt verfügbar sind. Das ist keine Frage des Wollens, sondern der faktischen Möglichkeiten. Ein herzchirurgisches Team, das bereits einen Notfall versorgt, kann nicht gleichzeitig einen zweiten übernehmen. Eine Operation, die vier bis acht Stunden dauert, blockiert genau diese Ressourcen für diesen Zeitraum. Das sind keine Ausreden, das sind schlichte Tatsachen.
Hinzu kommt: Nicht jede medizinische Katastrophe lässt sich auch unter optimalen Bedingungen verhindern. Manche Erkrankungen verlaufen so dramatisch, dass selbst sofortige Intervention keine Garantie für ein Überleben bietet. Diese Grenzen offen zu benennen, gehört zu einer ehrlichen Kommunikation zwischen Ärzteschaft und Gesellschaft. Es geht nicht darum, Verantwortung abzuschieben. Es geht darum, Erwartungen nicht zu wecken, die wir nicht erfüllen können.
Die Ärzteschaft muss weiterhin alles daransetzen, Patientinnen und Patienten bestmöglich zu versorgen – und gleichzeitig füreinander einstehen, wenn Kolleginnen und Kollegen unter schwierigsten Bedingungen ihr Bestes gegeben haben.
Die Bevölkerung können wir ermutigen, Vorsorge zu treffen: durch Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten und Gespräche mit Angehörigen über die eigenen Wünsche im Ernstfall. Solche Vorkehrungen schaffen Klarheit in Situationen, in denen keine Zeit für langes Abwägen bleibt.
Die Politik schließlich ist gefordert, Strukturen zu schaffen, die realistische Erwartungen widerspiegeln: tragfähige Dienstmodelle, bessere Koordination zwischen Zentren, Unterstützung für Ärztinnen und Ärzte in psychisch belastenden Situationen und vor allem eine Diskussionskultur, die Differenzierung zulässt statt nach Schuldigen zu suchen.
Wir stehen als Ärzteschaft an der Seite unserer Kolleginnen und Kollegen, die täglich in unmöglichen Situationen Entscheidungen treffen müssen. Sie verdienen Rückhalt, nicht Vorwürfe. Und wir laden alle ein zu einem ehrlichen Gespräch darüber, was moderne Notfallmedizin leisten kann – und wo ihre Grenzen liegen. Nur so können wir gemeinsam einen Weg finden, der der Realität gerecht wird und dennoch niemanden im Stich lässt
Dr. Matthias Vavrovsky MBA
Präsident der Salzburger Ärztekammer